AW: Reformen in Bosnien chancenlos
hallo,
hier ein hinweis auf einen artikel aus der frankfurter allgemeinen zeitung mit dem titel "vor dem krieg ist nach dem krieg":
Sarajevo: Vor dem Krieg ist nach dem Krieg - Ausland - Politik - FAZ.NET
grüsse
jürgen
Hallo Jürgen,
vielen Dank für diesen Link. Wie ich finde typisch, zu trüber Jahreszeit ein trüber Bericht. Partiell wird auf eine imaginäre "düstere" Stimmung hingewiesen und verbindet in der Summe mit dem Begriff "Krieg". Hmh, der Eindruck soll wohl erweckt werden, wie knapp man wieder vor dem schlimmsten Konflikt steht.
Es liest sich teilweise wachsend dramatisch, aber ist die Stimmung tatsächlich überall so? Darüber ist nichts zu lesen. In einigen europäischen Großstadthinterhöfen gibt es doch ähnliche Szenarien und Visionen... nur daraus gleich einen vermeintlich drohenden kriegerischen Akt abzuleiten, vermag sich der geneigte Leser wohl nicht vorzustellen.
Doch vielleicht mal zurück zu meinen Wahrnehmungen. ...bei jeder Reise nach BiH hielt mich ab der Grenze eine gewisse Spannung wach und aufmerksam. Hier fand ja mal ein wirklicher Krieg statt -nicht zu vergleichen mit einer Zeit bei der Bundeswehr, ob Gefechtsübungen oder Schießstand... nein, Realität pur. Ich hatte die Eindrücke aus Kroatien (Panzersperren im Velebitgebirge, die Ruinen an der Touristenstrecke zu den Plitvicka-Seen und speziell das zerschossene Otocac) nicht vergessen, aber was ich jedesmal nach dem Grenzübertritt bekam, war eine Gänsehaut.
Auf der kroatischen Seite relativ noch farbenfrohe Werbung und pulsierendes Leben, gleich nach dem bosnischen Zollhaus, bettelnde Menschen (den beinamputierten sehe ich schon seit Jahren), fahrradschiebende Gestalten, mit ihren Mitbringseln "von drüben" aus Kroatien, triste Hochhäuser mit teils eingeschlagenen Scheiben, überall eine etwas düstere Stimmung...
Besonders die Strecke ab Slavonski Brod bis nach Derventa hat es da in sich. Über die schwarzen Tafeln vor den Ruinen hatte ich ja schon geschrieben (wobei, in diesem Jahr waren weniger zu sehen). Dann führt diese Straße durch Ortschaften, in denen seit Jahren nichts erneuert wurde, weder die Straße selber noch die Häuser. Dafür aber überall bunt und schön geschmückte Friedhöfe...
OK, vielleicht bin ich da eher als andere ein "Weichei". Aber ich fühle eben, aus einem wirtschaftlich reichen Land kommend und in einem gewissen Wohlstand lebend, eine gewisse Beschämung. Auch darüber, wie es den dort lebenden Menschen -ungeachtet der ethnischen Herkunft- geht und wie sie "verwaltet" werden.
Dazwischen jedoch immer wieder Lichtblicke. Die Jugend ! Besonders sind mir diese zumeist an den Bushaltestellen aufgefallen. Modisch zwar nicht ganz uptodate, aber stets bemüht "cool" und locker zu wirken. Welch ein Gegensatz. Tut sich da was...?!?
Ab Derventa bis nach Doboj weitere Lichtblicke. Immer wieder farbenfroh angestrichene Häuser mit Cafes und mit moderner Bestuhlung [und natürlich überall die Sonnenschirme...
] laden zum kurzen Verweilen ein.
Erobert sich gerade die jüngere Generation ein stückweit ihren Platz in der Gesellschaft... ??? Es scheint, sie bringt sich ein und möchte etwas neues, modernes..., Erfolg und Anerkennung, einfach etwas verändern. Denn so wie bisher, ging/geht es ja nicht weiter.
In Gracanica wurde es abgelehnt, dass wir in ein Motel ziehen. Im Wohnzimmer steht schließlich ein ausziehbares Sofa... Widerspruch zwecklos. Nun, nach 13stündiger Autofahrt ist die Lust dazu, ehrlich gesagt, aber auch verflogen.
Unsere Gastgeber (2 EW + 1 Kind) bewohnen ein kleines Häuschen mit 3 Zimmern über 2 Stockwerke verteilt (Bad + SchlaZi oben)..., da rückt man eben ein wenig zusammen.
Die Gespräche wurden in englisch und mit Händen und Füßen geführt. Geht schon irgendwie
...wie ist die Lage und auch ein bisschen politisches bleibt da nicht außenvor. Dazu muss ich sagen, dass das Ehepaar studiert hat und u.a. eine Zeitlang in Österreich lebte.
Und nach diesen Unterhaltungen festigt sich meine Meinung, ganz im Gegensatz zu diesem Zeitungsartikel, dass die Mehrheit der Bevölkerung eben nicht die Konfrontation sucht oder nach einem "ethnisch gereinigten Landstrich..." Im Gegenteil, es wird vermittelt, dass meine Gesprächspartner und auch deren "andersgläubigen" Freunde die Toleranz wollen.
Salopp gesagt, es ist denen wurscht, ob Serbe oder Kroate... es seien alles Menschen die in friedlicher Koexistenz zusammenleben möchten.
Das dieses Ziel nicht über Nacht zu verwirklichen ist, sei allen bewußt. Auch die Notwendigkeit des Umdenkens der s.g. "alten" Generation. Hilfreich wäre es besonders, wenn die Wirtschaft angekurbelt würde und somit der großen Arbeitslosigkeit paroli geboten werden könnte. Dann müßten sich viele Familienväter nicht für einen Hungerlohn in benachbarten Regionen oder Ländern verdingen. Die Mitleser hier stellen sich einmal vor, für Monate getrennt von der eigenen Familie irgendwo im Nirwana herumzuvegetieren...
Nein, hier müßte die EU wesentlich mehr tun, als nur Visa auszustellen und sich weitestgehend aus der innerpolitischen Situation herauszuhalten. Nur abzuwarten, wie sich das biologische Problemchen irgendwie schon von alleine lösen wird ist m.M.n. zu kurzsichtig gedacht. <-- sofern man hier von "denken" sprechen kann.
Aber der Anfang ist getan. Und so bin ich guter Hoffnung, dass sich in absehbarer Zeit "Glasnost und Perestroika" in BiH durchsetzen wird.
Etwas anderes bleibt den Menschen letztlich auch nicht übrig, oder?
Es grüßt in die Runde, Remy