Kistanje in Norddalmatien

claus-juergen

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Landkreis Augsburg und Liznjan/Istrien
Heute möchte ich euch in eine Kleinstadt mitnehmen, die zwar abseits des Tourismus, aber nicht am Ende der Welt liegt. Kistanje befindet sich etwa auf halber Strecke zwischen der Insel Murter in Norddalmatien und Knin im Binnenland.

Anfang der 90er Jahre etablierte sich kurz nach der Unabhängigkeit Kroatiens in einem Teil des Landes die Serbische Republik Krajina mit der Hauptstadt Knin. Bis zum Jahr 1995, der Rückeroberung des Gebiets durch die kroatische Armee, gehörte Kistanje zum Kernland dieses von keinem anderen Land anerkannten Staates.

Kistanje ist ein Beispiel der Wirren der jüngeren Geschichte Kroatiens. Heute zählt die Stadt etwa 3500 Einwohner.

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Wie in allen Gebieten Kroatiens, wo ein bestimmter Prozentsatz Serben lebt, sind die Behörden in Lateinischen Buchstaben und Kyrillisch angeschrieben. Kistanje hat heute etwa zwei Drittel Einwohner mit serbisch orthodoxem Glauben und ein Drittel Katholiken, vereinfacht gesagt Serben und Kroaten. Vor dem Krieg waren weniger als 10 % der Bewohner Kroaten.

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Leider konnte ich die orthodoxe Kirche Sv. Cyrill und Methodius nicht besichtigen weil sie verschlossen war.

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Dieses Bild über dem Eingang soll die beiden Heiligen darstellen.

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Eine Straßenkreuzung und ein paar Cafes, ein Laden, ein Bäcker und sonst fast nichts - das ist das Zentrum der Kleinstadt.

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Die Spuren des Krieges und die Armut im Ort sind nicht zu übersehen.

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Öffentliche Gebäude wie die Schule oder das Rathaus sind frisch renoviert.

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Mitten im Zentrum stehen jedoch auch solche Häuser. Gehörten sie einst vertriebenen Kroaten oder Serben?

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Dieses Haus ist scheinbar im Obergeschoß bewohnt. Unten wurden die Fenster zugemauert, wohl um Vandalismus zu verhindern.

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Wie auch in anderen Teilen Kroatiens werden Todesanzeigen öffentlich angeschlagen. Hier ein zwei Jahre alter Aushang einer betagten Serbin. Man stelle sich nur vor, daß die alte Dame in Jugendjahren und hochbetagt einen Krieg erleben musste.

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Egal von welcher Richtung man sich Kistanje nähert. Die nagelneue überdimensionierte katholische Kirche ist nicht zu übersehen.

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Für die wenigen katholisch Gläubigen dürfte die Kirche im Vergleich zum orthodoxen Gegenstück 200 Meter entfernt viel zu groß geraten sein. Allerdings haben die Serben nachdem im Jahr 1991 die kroatische Obrigkeit einschließlich der katholischen Bewohner vertrieben oder ermordet wurden, auch die katholische Kirche geplündert und dem Erdboden gleich gemacht.

Der katholische Bevölkerungsanteil wurde hier unter anderem dadurch nach 1996 vergrößert weil aufgrund der Unruhen im Kosovo dort seit Jahrhunderten lebende Kroaten ins "Mutterland" übersiedelten und hier in Kistanje eine neue Heimat fanden. Insgesamt wanderten etwa 7000 Menschen aus dem Kosovo aus.

Deshalb ist es wohl verständlich, daß die Kirche nach der Rückeroberung als eine Art Machtdemonstration viel zu groß und weithin sichtbar neu erbaut wurde.

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Kultgegenstände, Heiligenfiguren, die gesamte Einrichtung - alles neu.

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Rechts vom Eingang steht die kleine Kapelle Prikazanja. Entweder hat diese die kriegerische Auseinandersetzung überstanden oder sie wurde original wieder aufgebaut.

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Nun mag sich mancher fragen, welchen Grund es geben könnte, nach Kistanje zu fahren? Ein Grund ist, daß hier die jüngere Geschichte Kroatiens augenscheinlich ist. Ein weiterer ist das östlich gelegene ehemalige Römerlager Burnum

https://translate.google.com/transl...ps://en.wikipedia.org/wiki/Burnum&prev=search

Und noch ein Grund ist der Wasserfall der Krka Manojlovacki Slapovi

https://translate.google.com/transl...nice/manojlovacki-slapovi/20.html&prev=search

Dieser wurde hier im Forum auch bereits vorgestellt.

jürgen
 
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Harry58

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Hallo Jürgen,
geschichtlich vielleicht interessant, aber sonst irgendwie bedrückend die Ortschaft.

Gruß
Harry
 
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Barraquito

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Absolut, Harry, ich stelle mir diese Ortschaft dazu auch ganz ruhig vor, ohne jegliches Leben.
Auch wenn Gründe für den überdimensionierten Bau der kathol. Kirche schlüssig erscheinen, so behagt mir dieser "Prunk" in einer solch armen Gegend gar nicht, ich empfinde es vielmehr fast als Schlag ins Gesicht.
 
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ELMA

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Danke, Jürgen, für diesen Beitrag.
Zeigt er doch eine Seite unsreres Urlaubslandes, wie sie sicher nur von wenigen wahrgenommen wird.

Ich bin schon öfter durch Kistanje gefahren , habe diesen riesigen neuen Kirchturm gesehen, habe aber noch nie dort gehaltnen.

Kistanje ist mit seinen rund 3 500 Einwohnern für die Region sicher ein wichtiger Ort. Schule , Rathaus lassen es vermuten . Und doch wirkt er auf den ersten Blick leblos und vernachlässigt.
Das Städtchen ist in einer sehr dünn besiedelten Region, mitten auf einer recht trostlosen großen Karsthochfläche.

Man fragt sich , wer dort wohnt.

Du hast es in Deinem geschichtlichen Überblick beschrieben.Es wurden Kroaten aus dem Kosovo ( sicher nicht ganz freiwillig) um-/angesiedelt.
Menschen, die schon seit Generationen im Kosovo lebten , ihre eigene Mentalität haben, dort ganz bestimmt ihre eigenen Traditionen entwickelten und sie nach Kistanje mitbrachten.
Das Miteinander dieser Neuangesiedelten mit den ansässigen Kroaten und den Serben ist sicher nicht einfach.
Der Krieg ist zwar vorbei, aber Spannungen wahrscheinlich noch nicht.

Für uns Ausländer ist das bestimmt nur schwer zu erfassen.
Aber der Ort scheint zu leben . Es gibt eine sehr sorgfältig gestaltete Website von Kistanje ( Mit Bildergalerie )
Es scheint eine Dorfgemeinschaft zu geben.
http://moje-kistanje.net/kistanje.htm


Was natürlich besonders auffällt, ist der Bau dieser katholischen Kirche . Du nennst es "Machtdemonstration", ja, das ist es sicher. Eine Demonstration der Überlegenheit , wenn man es negativ sehen will.
Auch die orthodoxen Christen haben ihre Kirche sehr schön renoviert. Da sieht vieles neu aus.
Ich frage mich wer das finanziert hat? Sowohl auf katholischer als auch auf orthodoxer Seite.

Der Kirchturm der katholischen Kirche wurde sicher nicht "zur Ehre Gottes " so hoch und weithin sichtbar erbaut.
Er erinnert mich an Mostar: Dort ist auch der Turm der katholischen Franziskanerkirche höher als jedes Minarett auf der anderen Seite. Und was mich in Mostar immer noch mehr befremdet: Gegenüber der Stadt , oben auf dem Berg, ein überdimensionales weißes Kreuz, das weithin sichtbar ist. Es steht anscheinend dort, von wo die Stadt 1993 beschossen wurde.

Man fragt sich : Muss das sein? Kirchen und Kreuze als Machtsymbole und Symbole einer scheinbaren Überlegenheit? Auch heute noch?

Es macht nachdenklich.

Gruß,
Elke
 
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Barraquito

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Meine Gedanken, Elke, als wir in Mostar waren.
Sehr befremdlich.
 
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Marius

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Ob vor, während oder nach dem Krieg, die Antworten auf die Fragen, die ihr euch da stellt, waren und sind immer die gleichen.

Die Intoleranz gegenüber anderen Religionen ist schlicht und einfach religionsimmanent. Was man dann sieht, sind nur die Blüten, die das treibt.
 
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