der Brunnen von Nedescina

claus-juergen

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Landkreis Augsburg und Liznjan/Istrien
Der Brunnen von Nedescina ist nicht nur ein Brunnen, sondern gleichzeitig eine Viehtränke und ein Waschplatz für die Wäsche der Dorfbevölkerung.Dieser Brunnen wurde wie viele andere während der italienischen Herrschaft in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Istrien errichtet. Zuvor gab es lediglich Zisternen. Erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dann Wasserleitungen in die einzelnen Häuser gelegt. Bis dahin war dies die Wasserversorgung in Nedescina.

Nach dem Ersten Weltkrieg fiel Istrien entsprechend dem Londoner Geheimvertrag vom 26.04.1915 zwischen den Westalliierten und dem Königreich Italien an Italien. "Durch den Vertrag von Saint-Germain 1919 nach dem Ersten Weltkrieg kam ganz Istrien als Teil der Region Julisch Venetien zu Italien. Der Grenzvertrag von Rapallo 1920 bestätigte dies auch bilateral zwischen Italien und dem neu gegründeten Staat Jugoslawien. Somit entstand innerhalb der Grenzen des Königreiches Italien eine beträchtliche slawische Minderheit von Slowenen und Kroaten." (aus Wikipedia)

Nach den Wirren der 20er Jahre und der sich anschließenden Weltwirtschaftskrise wurden auch in Italien staatliche Arbeitsbeschaffungsprogramme aufgelegt um den Menschen Einkommen zu verschaffen. Solche Programme waren in Istrien u. a. das "bonifiche", also das Urbarmachen von sumpfigem Gelände. Auf der Halbinsel waren das vor allem das Mündungsgebiet der Flüsse Mirna und Rasa. Letzteres habe ich euch in diesem Bericht vorgestellt.

http://www.adriaforum.com/kroatien/...erland-haben-die-italiener.81941/#post-859867

Aber auch die Trockenlegung des Cepic-Sees nördlich von Nedescina gehörte zu dem Programm. Bilder zu diesem Thema findet ihr in dem Bericht.

http://www.adriaforum.com/kroatien/threads/cepic-in-istrien-der-verschwundene-see.82066/

Weil ab dem Ende der 20er Jahre bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs mehr als 20.000 Italiener vorwiegend aus Süditalien einwanderten und Arbeit in den Kohlegruben der Gegend um Labin, aber auch in der Bauxit-Mine bei Cere fanden, mußten diese Menschen auch versorgt werden. Dringend erforderlich war der Bau von Brunnen. Dieses Programm nannte man "Acquedotto".

Ein Beispiel für so einen im Jahr 1937 gebauten Brunnen ist der von Nedescina. Er befindet sich in einem hervorragenden Zustand, obwohl er seit Jahrzehnten schon nicht mehr gebraucht wird.



Der Brunnen steht mitten im Dorf




Zu beiden Seiten der zentralen Säule befinden sich Wasserzapfstellen. Die Inschrift wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Titos Gefolgsleuten entfernt. Es durfte ja nicht sein, daß der böse italienische Feind hier ein Infrastrukturbauwerk geschaffen hat.




Rechts hingegen ist noch gut die entfernte Inschrift "ISTRIANO" zu erkennen.




Die Inschrift bedeutet sinngemäß "kostbar, rein und nützlich"




Schauen wir den Brunnen, der aus einheimischem Kalkstein gebaut wurde, von der Rückseite an. Das haben Titos Schergen wohl damals nicht getan. Ansonsten hätten sie sicherlich auch diese italienische Inschrift entfernt. Vielleicht gehörte das damals nicht zum Auftrag oder die Herren hatten einfach keine Lust, den Meisel erneut in die Hand zu nehmen. Aus heutiger Sicht finde ich das postitiv. So läßt sich die Geschichte des Brunnens von Nedescina nachvollziehen.




Dieses Becken diente seinerzeit als Viehtränke.




Auf der anderen Seite befanden sich vier Waschplätze für die "Waschweiber" des Dorfes.






Gerade mal 50 Meter weiter befindet sich das heutige Gemeindezentrum. Direkt davor hat sich das kommunistische Jugoslawien verewigt. Hier steht die Büste des unbekannten Partisanen.




Nun könnte man zwar meinen, daß der Brunnen doch viel wichtiger ist als das Denkmal für den Partisan. Allerdings muß man dem kommunistischen Jugoslawien zugute halten, daß in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts Brunnen gebohrt und für die meiste Bewohnern Hauswasseranschlüsse gelegt wurden. Als diese Maßnahme abgeschlossen war, hatte sich der Zweck des öffentlichen Dorfbrunnen erledigt. Genauso verhielt es sich ab dem Jahr 1937 mit den jahrhundertelang genutzten Zisternen.




Wer sich für solche Dinge interessiert, dem empfehle ich, mit offenen Augen durch Inneristrien zu fahren. Ein weiterer Brunnen der italienischen Zeit befindet sich bei Cepic.

CP_09_5.jpg


Im Hintergrund ist hier das Cepicko Polje zu erkennen.

CP_09_4.jpg


Der Brunnen von Cepic ist etwas einfacher gestaltet. Aber auch hier sind ein Waschplatz und eine Viehtränke vorhanden. Der Brunnen selbst ist jedoch durch eine Umfassungsmauer abgesperrt. Dies vielleicht, um Vieh von der Wasserzapfstelle für Menschen abzuhalten.

Rtsel_2_6.jpg


"acove dotto" bedeutet wörtlich "ein Kanal". Vermutlich wurde der Brunnen hier erst nach dem Ablassen des Sees gebaut. Zuvor diente wohl dieser dazu, um Trinkwasser für Mensch und Tier zu gewinnen, aber auch um die Wäsche zu waschen.

Wie auch in Nedescina sollten die Spuren der italienischen Bauherren verwischt werden. Viel Mühe hat sich der damit beauftragte Volksgenosse bei dieser Arbeit glücklicherweise jedoch nicht gegeben.

Hier noch ein kurzes Video aus den 30er Jahren über das Projekt Acquedotto.


jürgen
 
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Sargox18

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